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Biografie

Leo Maillet

1902
Leopold Mayer wird am 29.3.1902 in Frankfurt/Main als einziger Sohn des jüdischen
kaufmanns Eduard Mayer und dessen Frau Betty, geb. Nathan, geboren.

1918 –1923  
Er absolviert eine Bank- und Kaufmannslehre in Frankfurt/Main. Es entstehen, angeregt durch die groteske Situation der Inflation, erste Karikaturen.

1902
Leopold Mayer wird am 29.3.1902 in Frankfurt/Main als einziger Sohn des jüdischen
kaufmanns Eduard Mayer und dessen Frau Betty, geb. nathan, geboren.

1925  
E
intritt in die Frankfurter Kunstschule. Er erlernt dort alle Techniken der Graphik und Druckerei bei Prof. F. K. Dellavilla. Längerer Aufenthalt im Tessin.

1928 –1933
In der „Frankfurter Zeitung“ und anderen Lokalzeitungen erscheinen seine von ihm illustrierten Kunst- und Reiseberichte. Mehrere Aufenthalte in Paris.

1929  Selbsbildnis
Studien- und Ferienaufenthalte im Tessin, es entstehen die Radierungen „Salorino“, Melide“ sowie die ersten Bilder von Rovio.

1930 
Eintritt in die Meisterklasse von Max Beckmann, eigenes Atelier im Städel-Institut. Sein Ölbild „Uferstraße am Main“ erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt.

1931
Bei einem internationalen Wettbewerb in Cleveland, Ohio, USA erhält die Radierung „Maler und Malerin“ den Preis des Cleveland Print Club.

1932  
Am 12. 6. 1932 stirbt unerwartet der Vater, was zu einer Unterbrechung des Kunststudiums führt, da er das väterliche Geschäft übernehmen muß.Er beginnt nebenher eine Ausbildung zum Fotografen.

1933  
Zwangsweise Beendigung des Studiums, da er zu den „entarteten“ Künstlern gehört. Bis dahin entstanden etwa 100 Radierungen und 50 Ölgemälde. Die meisten dieser Arbeiten fallen einer ersten Zerstörung durch das Naziregime der Vernichtung zum Opfer. Wichtige gerettete Arbeiten sind die zwei Tessiner Landschaften „Salorino“ und Melide“ mit etwa 30 anderen Radierungen. Es ist der Concierge Mme. Barthèse zu verdanken, dass diese Radierungen als einzige Vorkriegsarbeiten erhalten geblieben sind.
Beschlagnahmung des väterlichen Geschäfts. Auflösung der Wohnung. Umzug der Mutter zur Großmutter an den Rhein.

1934  
Erster Auswanderungsversuch nach Luxemburg, England und Belgien.Begegnung mit James Ensor in Oostende, woraus sich auf Einladung J. Ensors die Beteiligung an einer Ausstellung mit Belgischen Malern ermöglicht.
Rückkehr nach Frankfurt/Main.

1935 –1939  
Endgültige Auswanderung über Luxemburg, wo er ausgewiesen wird, nach Frankreich. Er geht nach Paris. Während dieser Jahre arbeitet er u. a. als Fotograf, hauptsächlich jedoch als Drucker und Radierer in der Werkstatt von Lacourière, wo er neben Picasso, und Miró und Othone Friesz arbeitet.
Für Friesz radiert er dort auch das Blatt Parc du Luxembourg“, das anlässlich der Weltausstellung 1937 in dem Buch „La Ville de Paris“ erscheint.

Es entstehen auch wichtige eigene Werke wie „Sauvage“, die einzige gerettete Kupferplatte aus dieser Zeit, da sie von Lacourière aufbewahrt wurde.

1936  
Die Reichskulturkammer untersagt ihm nachträglich die Ausübung des Berufs als Maler, er nimmt davon jedoch keine Notiz und beteiligt sich weiterhin an Ausstellungen in Frankreich.

1938  
Auf Drängen der französischen Regierung heiratet er seine langjährige deutsche Lebensgefährtin Margarete Hoess.

1939  
Bei Kriegsausbruch Internierung in Mittelfrankreich. Übernahme dieser Internierten von den Engländern als Arbeitsgruppe, die Truppenlager am Atlantik errichtet.

1940   Es gelingt ihm die Flucht und er läßt sich bei Les Baux und St. Rémy de Provence nieder, wo er von Gelegenheitsarbeiten lebt und malt.

1942  
Verhaftung durch die Gestapo wegen seiner jüdischen Herkunft. Internierung in die Konzentrationslager Les Milles bei Aix-en-Provence und Rivesaltes bei Perpignan.
Von dort aus sollte er nach Auschwitz deportiert werden, doch es gelingt ihm am zweiten Tag der Fahrt der Sprung aus dem Deportiertenzug bei Vierson/Cher. Er überschwimmt die Cher ins unbesetzte Frankreich und kann sich bei Tarascon verstecken, von wo er bei Einmarsch der deutschen Truppen in die Cevennen flieht. Dort lebt er als Hirte und erhält von einer Organisation einen französischen Paß; von nun an nennt er sich Leo Maillet. Wahrscheinlich zu dieser Zeit erfolgt die Deportation seiner Mutter mit Todesfolge.

1943  
Aushebung des Wohnstudios in Paris durch die Gestapo und Verlust von über 100 Kupferplatten und 100 Ölbildern durch Zerstörung.

1944  
Mit Hilfe der oben genannten Organisation gelingt ihm die Flucht in die Schweiz, wo er etwa ein halbes Jahr mit einer Gruppe italienischer Musiker als „Internierter“ in einem ehemaligen Hotel lebt.

Beginn der „Musikalisch – malerischen Periode“.

 

Fluchtwege Leo Maillets 1939-44


1945 –1950   
Diverse Stipendien erlauben einen Neubeginn. Um eine neue Existenz aufzubauen, erlernt er an den Gewerbeschulen von Basel und Lausanne Typographie und Bühnenbild. Für den farbigen Linolschnitt „Tanz einer Najade“ erhält er den Preis der Schweizerischen Graphischen Gesellschaft.

1946 –1950  
Es entstehen erste Ölbilder, Radierungen und Holzschnitte zu Kafka und Lithographien von Landschaften des Tessins.

1949  
Erster Besuch des Tessins nach dem Krieg. Die Monographie „Leo Maillet“ von Georgine Oeri erscheint. Ausstellungen in Bern, Lausanne und Locarno.

1950 –1953  
Er lebt, arbeitet und stellt in Zürich und im Tessin aus. Mit Adolf Hürlimann gibt er die Kunstzeitschrift „Matière“ heraus.

Weitere Ausstellungen in Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Paris, Winterthur, Mailand, Florenz und Turin.

1950 –1970  
Aus seinen im Krieg entstandenen Zeichnungen kreiert er einen Zyklus von zwölf Radierungen unter dem Titel „Die Dämmerung“.

1956  
Er heiratet seine zweite Frau Regina Lippl, und am 6. 3. 1956 wird sein Sohn Daniel Alexander in Zürich geboren.
Entstehung der ersten „Scherzi“ (= Materialkollagen) in Molinazzo di Monteggio.

1957  
Am 4. 11. 1957 wird sein Sohn Nikolaus in Gräfelfing bei München geboren.

1964 –1970  
Er baut sein Haus mit Atelier auf seinem mit uralten Bäumen bewachsenen, großen Grundstück in Verscio.

Es entstehen großformatige Ölbilder, wie Rock ’n Roll“ und „Totentanz“, außerdem weiterhin Portraits, Landschaften und Blumenbilder.

1968  
Er erhält das Schweizer Bürgerrecht in Molinazzo di Monteggio.

1970 - 1972  
Leo Maillet wird sesshaft, er schränkt die Auslandsaufenthalte ein, lebt und arbeitet in Verscio. Austellungen in Biberach mit Einführungstext über Kafka von Martin Walser.

1986  
Die Biographie „Nachträgliches, ein Künstler im Exil“ von Marlene Decker-Janssen erscheint im Benteli Verlag (Bern).

1989  
Ausstellung im Museo d’Arte Mendrisio. Diese Ausstellung ist der erste Rückblick auf das Gesamtwerk des Künstlers und wurde von Dr. Michele Reiner beantragt.

1990  
Leo Maillet stirbt am 8.
März 1990.

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1994  erscheint das Tagebuch"Leo Maillet, Bilder Skizzen und Notizen eines Frankfurter Malers"

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Historische Anmerkungen zur Situation Leo Maillets in Frankreich während des 2. Weltkrieges (Auszug aus dem "Tagebuch")

 

Am 1. 9. 1939 erfolgte der Überfall Deutschlands auf Polen. Daraufhin erklärten England und Frankreich am 3. 9. 1939 Deutschland den Krieg, was zur Folge hatte, dass alle sich in Frankreich befindenden Deutschen und Österreicher – gleichgültig ob Flüchtling oder Sympathisant des Dritten Reiches – zu Feinden Frankreichs wurden. Am 5. September des Jahres wurde die Internierung aller Männer des Deutschen Reiches zwischen 17 und 50 Jahren angeordnet – alle anderen aus dem Reich stammenden Personen mussten sich bei den zuständigen Polizeibehörden zur Kontrolle ihrer Ausweise melden. Neun Tage später erfolgte die Internierung der Männer zwischen 50 und 65 Jahren. Ab dem 17. September 1939 internierte man auch diejenigen Frauen, die im Hinblick auf die nationale Sicherheit verdächtig erschienen.


Leo Maillets Internierung in der mittel-französischen Provinz deutet darauf hin, dass er als wenig verdächtig eingestuft wurde. (S. 46) Das Tagebuch fährt dann auf Seite 50 fort mit dem Bericht über den Abzug der Engländer. Leo Maillet überspringt hier einige wesentliche Punkte, die zum Verständnis ergänzt seien: Die Internierten hatten die Möglichkeit, sich zur Fremdenlegion zu melden – etwa 9000 verließen so die Internierungslager. Ab Dezember 1939 begannen aber auch Sichtungsgruppen, die Unverdächtigen aus den Lagern zu entlassen.


Ab Februar 1940 konnten sich die verbliebenen Männer unter 40 Jahren (Dekret vom 13. 1. 1940) zu Prestatärgruppen melden. Dies waren Kontingente von Zivilpersonen, die einen paramilitärischen Hilfsdienst zu leisten hatten. Man schätzt ihre Zahl auf 5000. Einige dieser Kompanien wurden den britischen Truppen in Frankreich zugeordnet, die sie bei Befestigungsarbeiten einsetzten. Leo Maillet gehörte zur englischen Labour Companie in St. Nazaire, zu der er über Blois, Le Mans und Mulsan gelangte. Als Prestatär erhielt er französische Militärpapiere.


Der im Tagebuch auf Seite 50 berichtete Truppenabzug der Briten fiel auf den Tag des deutschen Angriffs auf Frankreich. Die Einkesselung der noch verbliebenen britischen Verbände in Frankreich in Dünkirchen fand 14 Tage später am 24. 5. 1940 statt. Daher dürfte als Datum der 19. statt des 10. wahrscheinlicher sein. Am 22. 6. 1940 wurde der deutsch-französische Waffenstillstand geschlossen. Die verbliebene französische Regierung musste das nun von den Deutschen besetzte Bordeaux verlassen und ging nach Vichy. Für die deutschen Flüchtlinge veränderte sich die Situation wie folgt: Sie waren jetzt allein von den erneut einsetzenden Internierungsmaßnahmen im unbesetzten Frankreich betroffen, in das sich viele vor dem Anrücken der Deutschen geflüchtet hatten. Die Sympathisanten des Dritten Reiches hatte man freigelassen. Die Nazigegner waren nun entweder weiter als 5. Kolonne verdächtig oder waren Nachstellungen der französischen Nazisympathisanten und Antisemiten ausgesetzt, die sich zu einer verhängnisvollen Allianz mit den deutschen Besatzern zusammenschlossen. Als Feinde des Reiches mussten sie zudem die Auslieferung nach Deutschland, laut Artikel 19 des Waffenstillstands, fürchten.

Deutsche und französische Militär- und Polizeikräfte, einschließlich der Gestapo, kontrollierten die Internierungslager im unbesetzten Frankreich. Die deutschen Truppen besetzten die Atlantikküste und die Ausreise in die USA via Transit Spanien und Portugal wurde immer schwieriger. Leo Maillet flüchtete als Prestatär und wurde nach seiner Landung im unbesetzten Frankreich demobilisiert, erhielt aber keine weitere Unterstützung (siehe S. 51), da er vor dem Krieg seinen Wohnsitz im besetzten Frankreich gehabt hatte. Der Wert seiner französischen Militärpapiere hing sehr von der Einstellung der jeweiligen Behörden ab – ein schwankender und sehr gefährlicher Boden, wie S. 50 beweist.Ende August erließ Vichy die Anweisung, Deutsche zwischen 17 und 65 Jahren erneut zu internieren, und am 4. 10. 1940 ordnete ein Dekret die Internierung aller ausländischen Juden an. Somit war Leo Maillet doppelt bedroht: als Deutscher wider Willen und als Jude.Am 20. 1. 1942 wurde auf der Wannsee-Konferenz die europäische Endlösung der Judenfrage beschlossen. Die Vichy-Regierung hatte bereits im Herbst 1941 ihre vorübergehend großzügige Ausreisepolitik geändert, und im Januar 1942 befanden sich unter 14500 Internierten etwa 5000 Juden im direkten Zugriff Heydrichs und seiner Schergen, die man in deutschen und Vichy-Uniformen fand.


Am 27. 3. 1942 begannen die Deportationen aus dem besetzten Frankreich, und ab Mitte Juli stand auch genügend Transportkapazität für Deportationen aus dem unbesetzten Frankreich zur Verfügung, die über das Lager Drancy im besetzten Frankreich vorwiegend mit Endziel Auschwitz das Land verließen. Die vollständige Besetzung Restfrankreichs durch die Deutschen ab dem 11. November 1942 erhöhte nochmals die Gefahr für alle Flüchtlinge und Juden, auch in den endlegendsten Verstecken aufgespürt zu werden.


Leo Maillet profitierte nach seiner Flucht aus dem Deportationszug von den vielfältigen Strukturen des französischen Widerstandes und dem relativ dichten Netz der unterschiedlichen, vielfach konfessionellen Hilfsorganisationen, die sich am 20. 11. 1942 in Nîmes zu einem Hilfskomitee zusammenschlossen.


Bei der Organisation CIMADE, die Leo Maillet aus Frankreich schleuste (S .68), handelt es sich um die Commission intermouvements auprès des évacués. Sie wurde Ende 1939 aus fünf protestantischen Jugendbewegungen gegründet, um den aus dem Elsaß und Südlothringen Evakuierten Beistand zu leisten. Seit dem Waffenstillstand wendete sie sich auch anderen Flüchtlingen zu.

 

Zusammenstellung der Daten:
Christoph Scholz

Fürstenfeldbruck,
im August 1994